Verzinsung von Steuernachzahlungen und Steuererstattungen – wie geht es nun weiter

Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Höhe des Zinssatzes (Verzinsung) nach § 233a AO i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO für Zeiträume ab 2014 beanstandet hat, legt die Finanzverwaltung nun die Folgen für die Besteuerungspraxis fest.

Die Zinsregelung nach § 238 Abs. 1 AO i. V. m. § 233a AO – die sog. Vollverzinsung – soll im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen einen Ausgleich dafür schaffen, dass die Steuern trotz gleichen gesetzlichen Entstehungszeitpunkts, aus welchen Gründen auch immer, zu unterschiedlichen Zeiten festgesetzt und erhoben werden.

Die Verzinsung ist gesetzlich vorgeschrieben und steht nicht im Ermessen der Finanzbehörden. Die Zinsfestsetzung kann dabei sowohl für den Steuerpflichtigen (Verzinsung von Steuererstattungen) wie für den Fiskus (Verzinsung von Steuernachzahlungen) wirken. Die Höhe des Zinssatzes beträgt 0,5 % für jeden vollen Monat, mithin 6 % p. a. Diese Typisierung ist in der Vergangenheit angesichts einer nunmehr lange anhaltenden Niedrigzinsphase zunehmend in die Kritik geraten.

BVerfG beanstandet Zinssatz von 0,5 %

Das BVerfG hat mit seinem Beschluss v. 8.7.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) zwar die sog. Vollverzinsung nach § 233a AO dem Grunde nach bestätigt. Es hat allerdings die vom Gesetzgeber festgelegte Höhe des Zinssatzes beanstandet (s. hierzu auch die News „Konsequenzen der Zinsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts“). Die Eckpunkte der Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen:

§ 233a AO i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO ist mit Art. 3 GG unvereinbar, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 ein Zinssatz von 0,5 % pro Monat zugrunde gelegt wird.

Für Verzinsungszeiträume bis 31.12.2018 ist das bisherige Recht aber weiter anwendbar (Fortgeltungsanordnung).

Für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 gilt Folgendes:

  • § 233a AO i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO ist als Folge des Verstoßes gegen Art. 3 GG unanwendbar (Anwendungssperre).
  • Gerichte und Behörden dürfen diese Normen insoweit nicht mehr anwenden und laufende Verfahren sind auszusetzen. Dies bedeutet, dass sowohl Nachzahlungs- als auch Erstattungszinsen auf der Grundlage der verfassungswidrig erklärten Vorschriften nicht mehr festgesetzt werden dürfen.
  • Unanfechtbare Zinsfestsetzungen, die auf der Anwendung dieser Vorschriften beruhen, sind wegen der Entscheidung des BVerfG weder aufzuheben noch zu ändern (§ 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG entsprechend). Sie genießen Bestandskraft. Die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist – soweit sie noch nicht vollzogen ist – allerdings unzulässig (§ 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG entsprechend).
  • Ansprüche des Zinsschuldners gegen die Finanzbehörde aus ungerechtfertigter Bereicherung hinsichtlich bereits entrichteter Zinsen sind ausgeschlossen (§ 79 Abs. 2 Satz 4 BVerfGG).
  • Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31.7.2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 zu treffen.

Andere Zinsregelungen sind von der Rechtsprechung nicht betroffen

Die Unvereinbarkeitserklärung erstreckt sich ausdrücklich nicht auf die anderen Verzinsungstatbestände nach der AO zulasten der Steuerpflichtigen, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 und 237 AO. Im Gegensatz zur Vollverzinsung ist den Teilverzinsungstatbeständen der AO nicht nur gemeinsam, dass sie lediglich Verzinsungen für bestimmte, konkret umschriebene Liquiditätsvorteile der Steuerpflichtigen vorsehen und eine Verzinsung i. d. R. erst nach Fälligkeit erfolgt, sondern v. a. auch, dass die Verwirklichung des Zinstatbestands und damit die Entstehung von Zinsen grundsätzlich auf einen Antrag der Steuerpflichtigen zurückzuführen ist oder – wie insbesondere im Fall der Hinterziehungszinsen – jedenfalls von ihnen bewusst in Kauf genommen wird.

Steuerpflichtige haben daher – anders als bei der Vollverzinsung – grundsätzlich die Wahl, ob sie den Zinstatbestand verwirklichen und den in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelten Zinssatz hinnehmen oder ob sie die Steuerschuld tilgen und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu zinsgünstigeren Konditionen beschaffen. Dies gilt auch in dem Fall, in dem Steuerpflichtigen eine Aussetzung der Vollziehung oder eine Stundung von Amts wegen „aufgedrängt“ wird, da sie sich hiervon jederzeit durch Zahlung des ausgesetzten oder gestundeten Betrags befreien und dadurch zumindest im Ergebnis die Verzinsungspflicht beenden können.

Die Entscheidung des BVerfG betrifft aber auch nicht die Verzinsung zugunsten der Steuerpflichten bei Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge (§ 236 AO).

Reaktion der Finanzverwaltung

Das BMF hat im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder die Finanzämter angeordnet, dass künftig im Wesentlichen wie folgt zu verfahren ist (vgl. BMF, Schreiben v. 17.9.2021, IV A 3 – S 0338/19/10004 :005; das Schreiben soll noch im Bundessteuerblatt Teil I und auf den Internetseiten des BMF veröffentlicht – und dann auch hier verlinkt – werden ;  das LfSt Niedersachsen hat in einer Pressemitteilung bereits daraus zitiert):

Erstmalige Zinsfestsetzungen nach § 233a AO

Sämtliche erstmalige Festsetzungen von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO ab dem 1.1.2019 sind auszusetzen (vgl. § 165 Abs. 1 Satz 4 und Satz 2 Nr. 2 AO i. V. m. § 239 Abs. 1 Satz 1 AO). Dies bedeutet, dass für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 Nachzahlungs- und Erstattungszinsen vorerst nicht festgesetzt werden. Die ausgesetzte Zinsfestsetzung ist nachzuholen, soweit und sobald die Ungewissheit durch eine rückwirkende Gesetzesänderung beseitigt ist.

Für Verzinsungszeiträume bis 31.12.2018 anfallende Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO sind hingegen endgültig festzusetzen, da die Vorschrift aufgrund der Weitergeltungsanordnung des BVerfG für diese Zeiträume noch anzuwenden ist. Unter Verzinsungszeiträumen bis zum 31.12.2018 sind hierbei nur volle Zinsmonate zu verstehen, die spätestens mit Ablauf des 31.12.2018 enden.

Geänderte oder berichtigte Zinsfestsetzungen

Bei Änderungen oder Berichtigungen von Festsetzungen von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO ist wie folgt zu verfahren:

Wird eine unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangene Zinsfestsetzung geändert (§ 164 Abs. 2 AO) oder wird der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben (§ 164 Abs. 3 AO), ist die korrigierte Zinsfestsetzung für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 im Umfang der betragsmäßig neu festzusetzenden Zinsen auszusetzen und für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 im Übrigen, d. h. für bislang bereits festgesetzte Zinsen, nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO vorläufig vorzunehmen. Das gilt auch, wenn ein unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangener Zinsbescheid zugleich nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO (ganz oder teilweise) vorläufig ergangen war.

Für Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018 ist die Zinsfestsetzung nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO für endgültig zu erklären.

Werden Zinsfestsetzungen nach anderen Korrekturvorschriften – sei es zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen – geändert oder berichtigt, gilt Folgendes:

  • Ist die vorangegangene Zinsfestsetzung in vollem Umfang vorläufig ergangen, ist die geänderte oder berichtigte Zinsfestsetzung für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 im Umfang der betragsmäßig neu festzusetzenden Zinsen auszusetzen. Für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 ist sie im Übrigen, d. h. für bislang bereits festgesetzte Zinsen, nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO vorläufig vorzunehmen. Für Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018 ist die Zinsfestsetzung für endgültig zu erklären.
  • Ist die vorangegangene Zinsfestsetzung nur teilweise vorläufig ergangen, ist die geänderte oder berichtigte Zinsfestsetzung für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 im Umfang der betragsmäßig neu festzusetzenden Zinsen auszusetzen. Für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 ist sie bis zum Umfang der bisher vorläufigen Festsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO vorläufig vorzunehmen. Für Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018 ist die Zinsfestsetzung für endgültig zu erklären.
  • Ist die vorangegangene Zinsfestsetzung weder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung noch vorläufig ergangen, ist die geänderte oder berichtigte Zinsfestsetzung für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 im Umfang der betragsmäßig neu festzusetzenden Zinsen auszusetzen. Hinsichtlich der für Verzinsungszeiträume bis 31.12.2018 berechneten Zinsen sowie hinsichtlich der für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 unanfechtbar festgesetzten Zinsen ist die Zinsfestsetzung endgültig vorzunehmen.

Einspruchsfälle

In Fällen eines zulässigen Einspruchs gegen eine Zinsfestsetzung nach § 233a AO, in dem die Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes nach § 238 Abs. 1 AO bestritten wurde, ist wie folgt zu verfahren:

  • Hinsichtlich der Verzinsungszeiträume bis 31.12.2018 ist der Einspruch als unbegründet zurückzuweisen, wenn er nicht zurückgenommen wird. Wurde im Einspruchsverfahren insoweit nach § 361 AO Aussetzung der Vollziehung gewährt, endet diese regelmäßig einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung.
  • Soweit die Festsetzung von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 nicht entsprechend den obigen Ausführungen ausgesetzt bzw. vorläufig festgesetzt worden ist, ist das Einspruchsverfahren nach der Entscheidung des BVerfG auszusetzen (vgl. Rz. 253 des Beschlusses des BVerfG). Die Vollziehung der Zinsfestsetzung ist insoweit ebenfalls auszusetzen. Nach Verkündung der vom BVerfG geforderten rückwirkenden Gesetzesänderung wird das Einspruchsverfahren fortgesetzt.
  • Wird gegen eine Aussetzung der Festsetzung von Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 Einspruch eingelegt, ist der Einspruch unter Hinweis auf die Entscheidung des BVerfG als unbegründet zurückzuweisen. Nach Verkündung der vom BVerfG geforderten rückwirkenden Gesetzesänderung wird die ausgesetzte Zinsfestsetzung ggf. nachgeholt.

Zinsen nach §§ 234 bis 237 AO

Soweit Zinsen nach den §§ 234 bis 237 AO sowie andere Zinsen, auf die § 238 Abs. 1 AO anzuwenden ist, ganz oder teilweise vorläufig festgesetzt worden sind, sind diese nach § 165 Abs. 2 Satz 4 AO nur für endgültig zu erklären, wenn der Zinsschuldner dies beantragt oder der Zinsbescheid aus anderem Grund aufzuheben oder zu ändern ist. Wurde gegen eine solche Zinsfestsetzung Einspruch eingelegt, ist der Einspruch als unbegründet zurückzuweisen. Wurde im Einspruchsverfahren insoweit nach § 361 AO Aussetzung der Vollziehung gewährt, endet diese regelmäßig einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung.

Die Anrechnung von Zinsen nach § 233a AO auf Stundungszinsen (§ 234 Abs. 3 AO), Hinterziehungszinsen (§ 235 Abs. 4 AO), Prozesszinsen (§ 236 Abs. 4 AO) und Aussetzungszinsen (§ 237 Abs. 4 AO) ist ggf. anzupassen.

Vertrauensschutz bei Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019?

Die Vorschrift des § 176 AO schützt das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Gültigkeit einer Rechtsnorm, der Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des Bundes oder einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift. Bei einer Änderung der Steuerfestsetzung oder Zinsfestsetzung ist so vorzugehen, als hätte die frühere für den Steuerpflichtigen günstige Rechtsauffassung nach wie vor Gültigkeit. So darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuer- oder Zinsbescheids z. B. nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass das BVerfG die Nichtigkeit eines Gesetzes feststellt, auf dem die bisherige Steuer- oder Zinsfestsetzung beruht (§ 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO).

Das BVerfG hat sich in seiner Entscheidung ausgiebig mit der Frage befasst, welcher Zinssatz (unterhalb von 0,5 % pro Zinsmonat) verfassungsrechtlich denkbar sein könnte. Es hat aber keine verbindlichen oder zumindest konkreten Vorgaben gemacht, wie hoch der Zinssatz verfassungsrechtlich maximal sein dürfe.

Das BVerfG hat in Bezug auf die Vertrauensschutzregelung des § 176 AO zudem ausgeführt, dass – soweit Zinsfestsetzungen vorläufig ergangen sind – die Finanzverwaltung beziehungsweise die Gemeinde im Fall von Erstattungszinsen auf die Gewerbesteuer – zu prüfen haben, ob und inwieweit der Aufhebung oder Änderung einer Zinsfestsetzung zuungunsten der Steuerpflichtigen die Vertrauensschutzregelung des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO i. V. m. § 239 Abs. 1 Satz 1 AO entgegensteht.

BMF, Schreiben v. 17.9.2021, IV A 3 – S 0338/19/10004 :005, das Schreiben soll noch im Bundessteuerblatt Teil I und auf den Internetseiten des BMF veröffentlicht – und dann auch hier verlinkt – werden ;  das LfSt Niedersachsen hat in einer Pressemitteilung bereits daraus zitiert

Durch die „Vierte Verordnung zur Änderung der Kurzarbeitergeldverordnung“, die am 15. September im Kabinett beschlossen wurde, wird der erleichterte Zugang zum Kurzarbeitergeld bis zum 31. Dezember 2021 auf alle Betriebe unabhängig vom Zeitpunkt der Einführung der Kurzarbeit ausgeweitet. Bislang war er auf Betriebe begrenzt, die die Kurzarbeit bis zum 30. September 2021 eingeführt haben. Zudem wird die volle Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge bis zum 31. Dezember 2021 verlängert.

Kurzarbeitergeld: Erleichterter Zugang soll Arbeitsplatzabbau verhindern

Für Unternehmen und Beschäftigte ist die Entwicklung der Coronapandemie nach wie vor mit vielen Unsicherheiten behaftet. Eine Erleichterung des Bezugs von Kurzarbeitergeld soll Vorsorge dagegen treffen, dass es durch die weltweite Ausbreitung des Coronavirus zu Arbeitsausfällen und damit verbunden zum Arbeitsplatzabbau kommt.

Bereits Ende vergangenen Jahres sind das Gesetz zur Beschäftigungssicherung infolge der Covid-19-Pandemie (Beschäftigungssicherungsgesetz) zusammen mit der „Ersten Verordnung zur Änderung der Kurzarbeitergeldverordnung“ sowie der „Zweiten Verordnung über die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld“ in Kraft getreten.

Mit der „Zweiten Verordnung zur Änderung der Kurzarbeitergeldverordnung“ wurden die Zugangserleichterungen dann um drei Monate bis Ende Juni 2021 erweitert.

Mit der „Dritten Verordnung zur Änderung der Kurzarbeitergeldverordnung“ wurden die Zugangserleichterungen um drei weitere Monate bis zum 30. September 2021 verlängert.

Mit der „Vierten Verordnung zur Änderung der Kurzarbeitergeldverordnung“ werden nun die Zugangserleichterung auf alle Betriebe unabhängig vom Zeitpunkt der Einführung der Kurzarbeit ausgeweitet und die volle Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge bis zum 31. Dezember 2021 verlängert.

Wann kann Kurzarbeitergeld beantragt werden?

Der Anspruch auf Kurzarbeitergeld muss grundsätzlich auf einem unabwendbaren Ereignis oder auf wirtschaftlichen Gründen beruhen (§ 96 SGB III). Dies trifft etwa dann zu, wenn Lieferungen ausbleiben und die Produktion eingeschränkt werden muss. Ein unabwendbares Ereignis liegt auch dann vor, wenn etwa durch staatliche Schutzmaßnahmen Betriebe geschlossen werden. Ob die Voraussetzungen für die Gewährung des Kurzarbeitergeldes vorliegen, entscheidet die zuständige Agentur für Arbeit.

Voraussetzung für den Bezug von Kurzarbeitergeld

Unternehmen, die aufgrund der weltweiten Krankheitsfälle durch das Coronavirus Kurzarbeit anordnen und es dadurch zu Entgeltausfällen kommt, können Kurzarbeitergeld erhalten. Diese Leistung muss vom Arbeitgeber beantragt werden.

Voraussetzung für den Bezug von Kurzarbeitergeld ist, dass die üblichen Arbeitszeiten vorübergehend wesentlich verringert sind. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn aufgrund des Coronavirus Lieferungen ausbleiben und dadurch die Arbeitszeit verringert werden muss oder staatliche Schutzmaßnahmen dafür sorgen, dass der Betrieb vorübergehend geschlossen wird. Grundsätzlich ist das Ziel von Kurzarbeit, dass Beschäftigte vorübergehend weniger Stunden leisten, um nicht gekündigt zu werden.

 In diesem Video von Haufe sind die Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld kompakt und übersichtlich zusammengefasst.

Erleichterter Zugang zum Kurzarbeitergeld

Mit den erleichterten Voraussetzungen soll die Gewähr dafür geschaffen werden, dass durch die Corona-Krise möglichst kein Unternehmen in Deutschland in die Insolvenz gerät und ein Arbeitsplatzverlust vermieden wird. Deshalb wurden in das SGB III befristet geltende Verordnungsermächtigungen eingeführt, mit denen die Bundesregierung die Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld absenken und die Leistungen wie folgt erweitern konnte:

  • Absenken des Quorums der im Betrieb Beschäftigten, die vom Arbeitsausfall betroffen sein müssen, auf bis zu 10 Prozent. Zum Hintergrund: Zuvor mussten mindestens ein Drittel der Belegschaft von Arbeitszeitreduzierungen betroffen sein, bevor Kurzarbeitergeld gewährt wird (§ 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB III).
  • Teilweise oder vollständiger Verzicht auf den Aufbau negativer Arbeitszeitsalden. Zum Hintergrund: Zuvor mussten in Betrieben, in denen Vereinbarungen zu Arbeitszeitschwankungen bestehen, diese zur Vermeidung von Kurzarbeit eingesetzt werden (§  § 96 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 SGB III).
  • Ermöglichung des Kurzarbeitergeldbezugs auch für Leiharbeitnehmer. Zum Hintergrund: Leiharbeitnehmer hatten zuvor keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld (§ 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG).
  • Vollständige Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge durch die Bundesagentur für Arbeit. Zum Hintergrund: Vorher hatte der Arbeitgeber während des Bezugs des Kurzarbeitergeldes die Sozialversicherungsbeiträge weiter zu bezahlen.

Kurzarbeit 2021: Verlängerung der erleichterten Bedingungen

Mit der „Vierten Verordnung zur Änderung der Kurzarbeitergeldverordnung“ werden die Zugangserleichterungen (Mindesterfordernisse, negative Arbeitszeitsalden) bis Ende Dezember 2021 verlängert, um mithilfe von Kurzarbeit Beschäftigungsverhältnisse zu stabilisieren sowie Arbeitslosigkeit und ggf. Insolvenzen zu vermeiden.

Die vollständige Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge während der Kurzarbeit wird ebenfalls bis 31. Dezember 2021 verlängert.

Tipp: Erklärvideo für Führungskräfte und Mitarbeiter

Sie möchten Ihren Führungskräften und Mitarbeitern die Zusammensetzung des Kurzarbeitergeldes inklusive Aufstockung durch Arbeitgeberzuschuss einfach erklären?

 Dann nutzen Sie das Video „Kurzarbeitergeld – kurz erklärt!“ von Haufe.

Erstattung der SV-Beiträge durch die Agentur für Arbeit

Den Arbeitgebern werden, unabhängig vom Zeitpunkt der Einführung der Kurzarbeit, die Sozialversicherungsbeiträge über September 2021 hinaus bis zum 31. Dezember 2021 weiter voll und auch dann erstattet, wenn mit der Kurzarbeit erst nach dem 30. September 2021 begonnen wird.

Höhe des Kurzarbeitergeldes

Das Kurzarbeitergeld richtet sich nach dem pauschalierten Nettoentgeltausfall im jeweiligen Anspruchsmonat. Es beträgt 60 Prozent beziehungsweise 67 Prozent der sogenannten Nettoentgeltdifferenz. Den höheren Leistungssatz von 67 Prozent erhalten Arbeitnehmer,

  • die mindestens ein Kind (i. S. d. § 32 Abs. 1, 3 bis 5 EStG) haben sowie
  • deren Ehegatte oder Lebenspartner mindestens ein Kind in diesem Sinne hat, wenn beide Ehegatten oder Lebenspartner unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben.

Für die übrigen Berechtigten gilt der allgemeine Leistungssatz in Höhe von 60 Prozent.

Kurzarbeitergeld: Erhöhung 2020/2021

Um vor allem die Einkommensverluste von Geringverdienern auszugleichen, wurde bereits im Mai 2020 die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes beschlossen. Die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes erfolgt gestaffelt. Von der Erhöhung profitieren sollen Arbeitnehmer, deren Arbeitszeit aufgrund von Kurzarbeit um mindestens 50 Prozent reduziert wird. Ab dem vierten Monat der Kurzarbeit erhalten diese Personen 70 Prozent beziehungsweise 77 Prozent (mit Kind) Kurzarbeitergeld. Ab dem siebten Monat des Bezugs erfolgt eine Erhöhung auf 80 Prozent beziehungsweise 87 Prozent (mit Kind). Diese Regeln wurden mit dem Beschäftigungssicherungsgesetz über den 31. Dezember 2020 hinaus bis zum 31. Dezember 2021 für alle verlängert, deren Anspruch auf Kurzarbeitergeld bis zum 31. März 2021 entstanden ist. Eine weitere Verlängerung ist hier nicht vorgesehen.

Hinzuverdienst während Kurzarbeit

Entgelt, welches aus einer während der Kurzarbeit aufgenommenen, geringfügig entlohnten Beschäftigung erzielt wird, bleibt anrechnungsfrei beim Kurzarbeitergeld. Diese bestehende befristete Hinzuverdienstregelung gilt bis zum 31. Dezember 2021.

Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld verlängert

Die Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld wurde mit der zweiten Kurzarbeitergeldbezugsdauerverordnung von regulär zwölf auf bis zu 24 Monate erweitert. Die verlängerte Bezugsdauer gilt für Betriebe, die bis zum 31. Dezember 2020 Kurzarbeit eingeführt haben. Längstens soll das Kurzarbeitergeld bis zum 31. Dezember 2021 verlängert werden.

Kein Kurzarbeitergeld für Minijobs

Die vereinfachten Bedingungen für die Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld gelten nur für die Fälle, für die auch ein Grundanspruch auf Kurzarbeitergeld gegeben ist. Arbeitgeber können Kurzarbeitergeld nur für die Arbeitnehmer beantragen, die auch versicherungspflichtig in der Arbeitslosenversicherung sind. Geringfügig Beschäftigte (450-Euro-Minijobber) sind versicherungsfrei in der Arbeitslosenversicherung, für sie kann daher nach wie vor kein Kurzarbeitergeld beantragt werden.

Aufstockung des Kurzarbeitergeldes per Tarifvertrag

Einige Tarifverträge, wie in der Metall- und Elektroindustrie, sehen vor, dass das Kurzarbeitergeld aufgestockt wird auf fast 100 Prozent des Nettolohns. Insgesamt war zu Beginn der Corona-Krise nur für eine Minderheit der Tarifbeschäftigten eine tarifvertraglich vereinbarte Aufstockung zusätzlich zum Kurzarbeitergeld vorgesehen. Mittlerweile sind in etlichen Branchen tarifliche Regelungen abgeschlossen worden, die eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes vorsehen, so beispielsweise in der Systemgastronomie, bei den textilen Dienstleistern, dem Gastgewerbe, bei den deutschen Seehäfen, der Deutschen Bahn, in der chemischen Industrie, in der Papierindustrie und der Kunststoffindustrie sowie in der Glasindustrie.

Kurzarbeitergeld: steuerliche Besonderheiten

Das Kurzarbeitergeld ist steuerfrei, unterliegt aber dem sogenannten Progressionsvorbehalt und kann deswegen zu einer Steuernachzahlung führen. (Mehr dazu lesen Sie im Beitrag „Coronavirus: Steuerliche Behandlung von Lohnersatzleistungen„). Arbeitnehmer, die mehr als 410 Euro Kurzarbeitergeld im Jahr erhalten haben, sind zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet.

Tipp: Weisen Sie Mitarbeiter, die in Kurzarbeit waren, rechtzeitig darauf hin, dass sie unter Umständen bis 31. Juli eine Steuererklärung erstellen müssen.  Hier finden Sie Informationen zum Kurzarbeitergeld in der Steuererklärung.